Brügge sehen und sterben
Auf Städtetour in Belgien
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Prolog
Zu Beginn der Planungen kam mein Vater mit seinem alten Reiseführer an, der immerhin stolze 42 Jahre auf dem Buckel hatte.
Vor dem Urlaub war mir gar nicht klar, wie viele große Maler (hier Peter Paul Rubens mit Mariä Himmelfahrt) aus Belgien kamen.
Diesmal begann der Urlaub in Eschwege, was zugegebenermaßen von Hannover aus gesehen nicht auf direktem Wege nach Belgien liegt. Meine Mutter und Mütze, der Cockerspaniel meiner Eltern, verbrachten ihren Urlaub bei meiner Schwester, und mein Vater und ich starteten deshalb von dort aus. Zu dieser Zeit grassierte in Eschwege gerade eine Epidemie an E.-coli-Bakterien[1][1] Eigentlich wurden lediglich in wenigen Brunnen ein paar E.-coli-Erreger gefunden, aber das Haus meiner Schwester befand sich in deren Einzugsbereich, und so klingt das viel dramatischer., so dass man das Leitungswasser weder trinken noch damit seine Zähne putzen sollte, was ich natürlich am Abend prompt vergaß. Als mir das auffiel, stellte ich mir schon das Gespött der Leute vor: "Die ganze Welt hast du bereist, ohne krank zu werden, und dann erliegst du mitten in Deutschland der Cholera." Glücklicherweise war dem aber doch nicht so, was auch daran liegt, dass E.-coli-Bakterien gar nichts mit Cholera zu tun haben, und daher habe ich völlig überraschend – das sei an dieser Stelle schon verraten – den Urlaub auch diesmal ziemlich unbeschadet überlebt. Dafür gab es einen Kreuzbandriss, aber davon berichte ich weiter unten mehr.[2][2] Merkt man, dass ich das Buch "Spannung erzeugen für Anfänger" gelesen habe?
Donnerstag (21.8.)
Die gute Nachricht war, dass Antwerpen ganz bestimmt genug zu sehen bot, damit wir uns nicht zu langweilen brauchten. Das Problem dabei war nur, das wir – wie eigentlich immer in meinem Urlauben – von einem zu wenig hatten: Zeit. Die Belgier taten ihr Übriges dazu bei, indem sie konsequent die Öffnungszeiten für alle Museen auf 10 bis 17 Uhr festlegten. Daraus ergab sich zwangsläufig, dass alles, was man außerhalb dieser Zeiten machen konnte, in die Randstunden verdrängt wurde.
Meinen Vater konnte ich am Vorabend damit überraschen, dass ich vorschlug, um sieben Uhr morgens aufzustehen, damit wir schon nachmittags etwas in Antwerpen unternehmen konnten.
Eine besonders zarte Darstellung der Maria mit Kind findet sich in der Liebfrauenkirche von Antwerpen.
Noch schlimmer wurde es, als ich meine Drohung wahr machte. Dafür besichtigten wir an diesem Tag auch gleich das Plantin-Moretus-Museum. Das Gebäude war im 16. Jahrhundert die größte und wichtigste Druckerei ihrer Zeit und wartet heute noch mit uralten Druckpressen, unzähligen Büchern, Möbeln und Bilder auf. Danach besuchten wir noch die Onze-Lieve-Vrouwekathedraal, die größte gotische Kirche Belgiens, in der wiederum einige Bilder von Rubens zu sehen war. Die Malerei zog sich durch diesen Urlaub wie ein roter Faden.
Nachdem wir in unserem Hotel eingecheckt hatten, machten wir uns erneut auf. Diesmal wollten wir eine Hafentour durch den viertgrößten Hafen der Welt (Ja, angeblich ist dieser in Antwerpen beheimatet.) machen. Tatsächlich fanden wir die - je nach Informationsquelle - zwischen 50 und 100 km lange Runde allerdings nicht, obwohl es angeblich dort entsprechende Hinweisschilder geben sollte.
Abends schauten wir dann noch vom MAS-Museum herunter in den Sonnenuntergang und auf die Stadt. Damit hatten wir unser Soll für den Tag auch wirklich erledigt und konnten erschöpft in die Betten fallen – zumindest nachdem ich lange Zeit benötigt hatte, um einen Parkplatz zu finden.
Das MAS-Museum wäre sicherlich auch tagsüber ein lohnendes Ziel gewesen, aber seine Besichtigung war zeitlich leider nicht drin.
Freitag (22.8.)
Eine Sage berichtet, dass an der Stelle von Antwerpen vor vielen Jahren der Riese Druon Antogonus lebte, der den Schiffern, die ihm den Zoll verweigerten, die Hand abschnitt und in den Fluss warf. Erst der tapfere Römer Silvius Brabo tötete ihn und schnitt nun seinerseits dessen Hand ab und warf sie ebenfalls ins Wasser. Von diesem "Handwerpen" soll der Name herrühren.
Wir begannen den Tag mit einem kleinen Rundgang um das Rubenshuis, da wir einfach zu früh mit dem Frühstück fertig geworden waren, und enterten es[3][3] Ich meine natürlich das Rubenshuis und nicht das Frühstück. dann pünktlich um zehn Uhr direkt nach dem Öffnen. Leider war Rubens selber an diesem Tag nicht anwesend. Peter Paul Rubens wurde 1577 in Siegen geboren und starb 1640 in Antwerpen. Aus dieser Zeit sind ca. 1500 Werke erhalten geblieben, was ca. einem Bild pro Arbeitswoche entspricht.
An der Kreuzaufrichtung saß Rubens fast zwei Jahre lang. Würde ich für jedes Bild so lange brauchen, dann hätte ich schon deutlich vor der Steinzeit anfangen müssen, um zu so vielen Fotos zu kommen. Vielleicht sind meine Bilder deswegen nicht so viel wert?
Die Sint-Jacobskerk, in der Rubens beerdigt liegt, war gerade wegen Renovierung geschlossen. Vermutlich musste der Meister noch einige seiner Werke nachbessern. Anschließend wollten wir das Red Star Line Museum besichtigen, was sich als äußerst schwieriges Unterfangen erwies, weil weder Reiseführer noch Navi eine genaue Adresse besaßen, da es erst kurz vorher seine Tore geöffnet hatte. Das Hauptproblem waren allerdings verschiedene (teilweise umfangreiche) Baustellen, die zu so einer großen Menge an gesperrten Straßen führten, dass wir schon fast aufgegeben hatten, das nicht ausgeschilderte Gebäude zu finden. Die Suche lohnte sich dann aber doch, da es gut die Geschichte der Migration durch Antwerpen hindurch in alle Teile der Welt beleuchtet. Die Red Star Line war dabei die Reederei, die ca. zwei Millionen Passagiere von Antwerpen über den großen Teich beförderte.[5][5] Bekannter ist die Reederei "White Star Line" (die zweite), die die berühmte Titanic ca. 3800 m tiefer legte.
Bis zum jetzigen Zeitpunkt stand immer noch eine Fahrt durch den Hafen aus.
Die Onze-Lieve-Vrouwekerk (Liebfrauenkirche) verschönert Brügge noch mehr.
Am frühen Abend trudelten wir in Brügge ein, wo wir noch gute zwei Stunden bei bewölktem Himmel einen Teil der wunderschönen Altstadt auf Zelluloid[6][6] Okay, das ist gelogen. ablichten konnten. Der einsetzende Regen vertrieb uns schließlich zu unserer ersten richtigen Mahlzeit an diesem Tag in ein Restaurant. Wettertechnisch könnte sich Belgien auf jeden Fall noch bessern. Es ist ja schließlich nicht England.[7][7] Siehe meiner Wetterabhandlung im entsprechenden Reisebericht.
Samstag (23.8.)
Als Erstes statteten wir dem örtlichen Beginenhof einen Besuch ab. Die Beginen schlossen sich seit Beginn des 13. Jahrhunderts zu religiösen Gemeinschaften zusammen,
Der Beginenhof wirkt wie eine Oase in der geschäftigen Altstadt von Brügge.
Anschließend schlenderten wir gemütlich weiter durch die sehr schöne Innenstadt[8][8] In der Tat weiß ich nicht, ob ich schon mal irgendwo eine schönere Innenstadt gesehen habe. Das führt zur Kehrseite der Medaille: Die City ist leider überfüllt mit Touristen. zum Hans-Memling-Museum, wobei wir viele Bilder vom gestrigen Abend erneut aufnahmen, da die Gebäude im Sonnenschein, der ab und zu aufflammte, noch deutlich besser aussahen. Brügge ist, wie der Name schon andeutet, eine Stadt mit vielen Brücken [9][9] Wahrscheinlich leitet sich der Name tatsächlich vom westgermanischen Wort für Brücke ab.,
Durch die vielen kleinen Wasserwege in der Innenstadt lassen die herrlichen alten Gebäude von Brügge (hier das Sint-Janshospital) sehr gut per Boot bewundern.
Im Sint-Janshospital wurden bereits im 12. Jahrhundert Kranke behandelt, wobei es damals nicht so sehr um die Heilung der Patienten sondern viel mehr um deren körperliche und seelische Versorgung ging. Neben der alten Apotheke sind auch die Werke von Hans Memling unbedingt einen Besuch wert. Der Maler, der in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts größtenteils in Brügge lebte, war für die herausragende Farbgestaltung und für die überwältigende Modellierung seiner Figuren bekannt. Erstaunlicherweise war mein Vater deutlich eher mit der Ausstellung fertig, was sich nicht nur auf die wenigen vorhandenen deutschen Erläuterungen schieben lies. Da er sich außerdem darüber beschwerte, dass zu wenig Werke von Hans Memling selber ausgestellt waren, fragte ich doch mal vorsichtig nach,
Die Burg Gravensteen ist eine der größten Wasserburgen Europas.
24.8. (Sonntag)
Gent entzückte uns vor allem durch seine vielen Baustellen, die sich natürlich überall dort ausbreiteten, wo das Navigationssystem uns durchschleusen wollte – sowohl am vorigen Abend als auch heute beim Hineinfahren in und beim Herausfahren aus der Stadt. Dann hieß es immer erst mal einen anderen Weg in die richtige Richtung zu suchen und die Stimme aus dem Lautsprecher zu ignorieren, die einen vehement wieder in die Baustelle lotsen möchte.[11][11] Übrigens: Die meisten Männer bevorzugen weibliche Stimmen. Sie sind es einfach gewohnt, von Frauen Befehle anzunehmen.
Belfriede (hohe Glockentürme) wie hier in Gent sollten verdeutlichen, dass man selbstbewusst und unabhängig war.
Da in Gent die Kirchen sonntags wegen der Gottesdienste erst ab Mittag für die Touristen geöffnet waren, widmeten wir uns zunächst dem Gravensteen - einer Wasserburg, die hier mitten in der Innenstadt zu finden ist. Der erste Vorläufer ist ca. 1200 Jahre alt, die heutige Anlage ist rund 400 Jahre jünger und wirklich imposant anzusehen. Auch die Ausstellung diverser Folterinstrumente fand ich beeindruckend.
Neben der fast ebenso hübschen Innenstadt wie Brügge war der Höhepunkt der sogenannte "Genter Altar", eines der großartigsten Werke der alt-flämischen Malerei. Er wurde im ersten Drittel des 15. Jahrhunderts von Hubert und Jan van Eyck geschaffen, wobei nicht so ganz klar ist, ob wirklich beide beteiligt waren und wer welchen Anteil daran hatte. Das ist so, als wenn ein paar Schüler ein Referat halten. Da weiß man als Lehrer auch nicht immer so genau, wer die Arbeit geleistet hat und wer nun die Lorbeeren fürs Nichtstun erntet.
Neben Pommes und Schokolade ist Belgien auch für geklöppelte Kunstwerke berühmt.
Der Flügelaltar steht nun in einer Seitenkapelle in einem Turm, wo er von Heerscharen von Touristen mit Audioguide am Ohr ehrfurchtsvoll bestaunt wird. Die Bilder sind sehr schön, auch wenn ein Teil wegen Restaurierungsarbeiten nicht zu sehen ist, und aufgrund der Erläuterungen kann man die Symbolik gut nachvollziehen und entdeckt viele Dinge, die man sonst nicht gesehen hätte, aber der Ort der Aufstellung wird dem Werk nicht gerecht. Aufgrund der Enge des Raumes kann es nicht so richtig seine Faszination entfalten. Mir hat daher der gestrige Johannesaltar von Hans Memling im Sint-Janshospital besser gefallen.
25.8. (Montag)
Mit der Ankunft in Brüssel hatten wir den flämischen Sprachraum der nördlichen Hälfte Belgiens verlassen. Flämisch ist – für die Aussagen werden mich sicherlich einige eingefleischte Flamen hassen – im wesentlichen Niederländisch.
Im Atomium war es trocken, aber draußen ließ uns Brüssel im Regen stehen.
Da die meisten Museen geschlossen hatten, öffnete der Himmel seine Pforten – und das kräftig. Das Atomium, ein 165.000.000.000-fach vergrößertes Eisenatom[12][12] So wird es zwar häufig behauptet, tatsächlich handelt es sich meiner Meinung nach um ein Eisenkristall, das aus neun Eisenatomen besteht. Die Bahnen der Elektronen werden übrigens nachts durch Lichtbahnen symbolisiert. Dies ist der Punkt, an dem meine Schüler hoffentlich sagen könnten: "Das wissen wir besser!", ist glücklicherweise aus rostfreiem Edelstahl, so dass ihm das Wasser nichts anhaben konnte.[13][13] Früher war er aus auch rostfreiem Aluminium, das allerdings relativ schnell unansehnlich wurde. Daher wurde 2004 umgesattelt.
Mini-Europa - ein Park mit Nachbildungen wichtiger europäischer Bauwerke im Maßstab 1:25 - ließen wir links liegen und wandten uns - nach zwei halben Stadtrundfahrten[14][14] Es gibt zwei verschiedene Routen. - dem großen Europa zu. Erst ließen wir uns im Plenarsaal des europäischen Parlaments über die Arbeit und die Aufgaben der Abgeordneten belehren, dann informierten wir uns im Parlamentarium in einer audiovisuellen Ausstellung über die Entstehung und Entwicklung der EU. Beides war dank neuester Technik in allen 24 Amtssprachen verfügbar.[15][15] Dies war – Steuergeldern sei Dank – sogar kostenlos. Mein Vater war allerdings sehr abgelenkt, da wir gerade erfahren hatten, dass der Cockerspaniel seinen zweiten Kreuzbandriss hatte und am kommenden Tag operiert werden musste.
Nach zwei weiteren halben Stadtrundfahrten (wir bekamen gerade noch rechtzeitig den letzten Bus) war der Tag dann auch schon wieder herum.
Die ist nicht Prinz Ernst August von Hannover.
26.8. (Dienstag)
Das Manneken Pis, die Bronzestatue eines urinierenden Knaben, war nicht der einzige, der heute den ganzen Tag schiffte, wobei man bei ihm auch nicht so richtig weiß, warum. Die einen sagen, er habe damals eine Bombe aus gepinkelt und so die Stadt gerettet, die anderen meinen, er hätte bei einer Parade an die Hauswand gepieselt. Ich als Hannoveraner kann mir gerade letzteres gut vorstellen, da es hier ja nicht unüblich ist, dass ein Prinz sich am türkischen Pavillon erleichtert.
Es regnete sich den ganzen Tag so richtig ein, dass es irgendwann nicht mehr viel Spaß machte, die Innenstadt von Brüssel zu Fuß zu erkunden, obwohl sie es sicherlich wert gewesen wäre. Schließlich trollten wir uns in die Königlichen Museen der schönen Künste, wo wir uns vor allen den alten Meistern widmeten, die hier in großer Zahl an der Wand hängen. Da war es auch nicht schlimm, dass nicht alle Werke zu sehen waren. Ich verbrachte mit gut drei Stunden mal wieder deutlich mehr Zeit in den Ausstellungsräumen als mein Vater, was früher immer anders war.
Pralinen (hier Schlümpfe für 20 € pro Packung) sind eine Brüsseler Spezialität.
Epilog
Belgien (und insbesondere aber nicht ausschließlich Brügge) ist auf jeden Fall eine Reise wert. Es würde sich aber noch viel besser verkaufen, wenn das Wetter besser wäre. Fairerweise muss ich hinzufügen, dass es in den Tagen so ziemlich in ganz Zentraleuropa ziemlich feucht war. Mütze, der Cockerspaniel, hat die Operation gut überstanden, und es geht ihm wieder besser.